Spiel|Formen Heft 2: Krisen ist erschienen!

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Games haben als “Krisenhobby” an Bedeutung gewonnen – das gilt sowohl für Onlinespiele, die in Zeiten von Social Distancing gemeinsame Freizeitgestaltung ermöglichen, als auch für die Beschäftigung mit der Spielkonsole oder dem Brettspiel im familiären Wohnzimmer. Die zweite Ausgabe der Spiel|Formen nimmt diese neue Rolle spielerischen Handelns zum Anlass, das Thema “Krisen” aus der Perspektive der Spielforschung scharf zu stellen. Denn Beziehungen zwischen Spielprozessen und Krisenereignissen sind auf verschiedenen Ebenen wirksam: So können sich spielexterne Krisen auf Spiele auswirken oder in Spielen dargestellt werden, aber auch die Geschichte der Spiele, des Spielens und der Spielproduktion ist von Krisen geprägt. Vor allem ist Spiel – als Vorgang mit ungewissem Ausgang – selbst konstitutiv krisenhaft; Spiel kann etwa misslingen oder zu misslingen drohen, oft geht es um Gewinnen oder Verlieren.

Mit Beiträgen von Reinke Schwinning, Irena Brehm, Beate Ochsner, Henrika Röhr, Anna-Marie Rönsch, Ramona Schön, Markus Spöhrer, Harald Waldrich, Paolo Pedercini, Nils Bühler, Aska Mayer, Laura Schmidt, Morgan Stricot, Matthieu Vlaminck, Phillip Brandes, Julia Böhm, Claudius Clüver und Max Kanderske.

Hier geht es zu den neuen Spiel|Formen.

Blick ins Heft:

Gamestudies als Krisenwissenschaft
Max Kanderske und Claudius Clüver

Spiele unterhalten eine enge strukturelle Beziehung zur Krise. Denn wie Krisensituatioen sind auch Spielsituationen– folgt man etwa der Definition Roger Caillois‘ (1986) – durch ihren ungewissen Ausgang charakterisiert. In der spielerischen Praxis gilt es, den durch das Spiel aufgespannten Möglichkeitsraum auf einen gewünschten Endzustand, häufig den des Gewinnens, zu verengen. Aus dieser Perspektive stellt sich Spielen als eine Form fortlaufenden Krisenmanagements dar, in die sich jene entscheidungs- und zeitkritischen Zuspitzungen einschreiben, die die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Krisis ausmachen. Dabei ist gegenwärtig die alltägliche Erfahrung, dass Krisen kaum noch punktuelle Zuspitzungen sind, sondern eher ausgedehnte Zustände, ohne dass sie weniger problematisch geworden wären. Diese neue Form der Krise als Dauerzustand findet ihre Entsprechung in Spielen, die durch Fortsetzungen und Erweiterungen immer größer werden, in offenen Spielwelten, die als fortlaufender Service angeboten werden statt als abgeschlossenes Werk; und die nicht zuletzt ihrer Eigenlogik entsprechende technologische, ökonomische, ökologische und identitäre Krisen hervorbringen. Spiele werden so zu Medien, die Krisen erfahrbar machen und gleichzeitig spezifische Seinsweisen der Krise ausprägen, mithin eine genuin ludische Krisenepistemologie produzieren.

Kommentierte Adorno bereits in den 50er Jahren die Allgegenwart von Krisendiskursen lakonisch mit den Worten „Welcher Lebensbereich möchte heute nicht seine eigene Krise haben?“ (Adorno 1956), so hat die Schlagzahl der Krisenereignisse und -diagnosen seit dem Jahrtausendwechsel noch einmal beträchtlich zugenommen. Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa (2021, 12) sprechen angesichts der jüngsten „Ballung gesellschaftlicher Krisenmomente“ gar von einer Krise der Spätmoderne an sich, die letzten Endes nur durch die Entwicklung einer neuen Gesellschaftsform beendet werden könne. Die Spielforschung sieht sich dabei vor die Herausforderung gestellt, die Wechselwirkungen der eigenen Untersuchungsgegenstände mit den global gewordenen Wirtschafts-, Klima- und Umweltkrisen zu benennen, die unsere Lebenswelt sowohl materiell als auch atmosphärisch grundieren und dabei vor keinem spielerischen magic circle halt machen. Gleichzeitig fordert die gegenwärtige Hochkonjunktur des Krisenbegriffs dazu auf, das eigene Fach und seine Erkenntnisinteressen, Forschungsmethoden und Gegenstände durch die Linse des Krisenförmigen zu analysieren und kritisch zu bewerten. Kurzum: Die Game Studies müssen zu einer ‚Krisenwissenschaft‘ werden – wenn sie es aufgrund der bereits angesprochenen Strukturähnlichkeiten von Spiel und Krise nicht ohnehin längst sind.